Erzählen Sie uns etwas zur Entstehung dieses Werks, das Sie als composer in residence für das Orchestre philharmonique de Strasbourg geschrieben haben!
Ich habe Memoria für die Streicher des OPS geschrieben, die sich auszeichnen durch ihren schillernd-dichten Klang, wobei aber auch klarwar, dass das nächste werk für diesen Klangkörper dann für grosses Orchester sein würde.
Entstanden ist das Stück aus Anlass der militärischen Offensive Aserbaidschans, damals unterstützt von der türkischen Armee, auf Berg-Karabach in Armenien. Dieses an sich schon höchst dramatische Ereignis hat mich aus familiären Gründen ganz besonders erschüttert. Ich kenne diese Region Armeniens, und ich habe den Schrecken des Krieges zutiefst emp funden; dazu auch Wut angesichts des Desinteresses eines grossen Teils der internationalen Gemeinschaft für das Schicksal der Menschen in Armenien. Die Vorstellung, wie junge Männer von der französischen Universität in Jerewan im Kampf getötet wurden, hat mich empört. Ihnen widme ich Memoria.

Wie haben Sie Form und Ausdruck dieses Stücks entworfen ?
Es besteht aus einem einzigen Satz, die Form ist zyklisch. Der Anfang ist ein grosses Crescendo, das Ende ein grosses Diminuendo das wie eine Antwort darauf erscheint. lm Zentrum steht eine grosse Kadenz der Solo-Violine, die Verkörperung des lndividuums in einer erschütterten Gesellschaft. Die Streicher sind vielfach geteilt.
Ich habe mich beim Schreiben treiben lassen, es ist eine einzige, nie unterbrochene Geste. Eine Musik, die Transformationen erzeugt, Metamorphosen, Vervieltältigungen der Farbnuancen. Zur Entstehungszeit, das war während des Lockdowns, habe ich auch zwei Streichquartette und ein Konzert für Streichquartett geschrieben. Der Einfluss dieser Werke prägt Memoria, dessen komplexe Gedankenwelt, insbesondere die der Klangwerte, manche an elektro-akustischen Musik denken lãsst.

Sie haben die zyklische Form ange sprochen. Gibt es auch Motive oder gar Themen aus der armenischen Musik ?
Es gibt keine Anklänge von folkloristischen Quellen, aber die Verwendung von mikrotonalen Elementen im Abschnitt für die Solo-Violine mag dem Ohr "orientalisch" erscheinen. Es gibt viele sehr schnell loopartig wiederholte Formeln, die die Ausdrucksdichte des Stücks betonen.
Es ist also ein sehr aktives Stück - und es gibt sehr viele Noten zu spielen! Doch es hat auch etwas Kontemplatives, denn diese fügen sich ein in lange Zeitabläufe.